Zur Lahnquelle oder zu neuen Erkenntnissen
Seit meiner Radreise 2004 von Kunidorf in die Alpen mit 10 Tagen ohne Zweifel an weiter oder höher hat sich im Laufe der Jahre die Vorstellung festgesetzt, das im Rentenalter mit der gebotenen Ruhe unter Nutzung von Zeit und Erfahrung an diese Traumtour angeknüpft werden kann. Die Verantwortung in Arbeit und Familie hat ab 2010 nur noch mit abnehmender Intensität einzelne Versuche von Mehrtagestouren zugelassen. Von Marathonfähigkeit über 3 Tageslauf von Kunidorf nach Dortmund über eine nach zwei Tagen abgebrochene RLP Radumrundung über Halbmarathonfähigkeit hat das körperliche Potential bis zum vierundsechzigten Lebensjahr soweit abgenommen, dass bei 20 Kilometer zu Fuß oder 50 Kilometer auf dem Rad die Wohlfühlgrenzen erreicht wurden.
Zufrieden finden
Planen, Ausführen, Freuen. Nachdem in Phase eins unter Pandemiebedingungen das Gewicht (noch nicht genügend) und die ungesunden Gewohnheiten so gut es eben ging reduziert wurden musste eine Prüfung her. Wo stehe ich und wovon kann ich noch träumen ohne mich zu belügen. Eine Zwischenprüfung sozusagen. Also die Ausrüstung aus den Ecken zusammengesucht und vier Packtaschen mit zusammen 20 kg an mein Reiserad geklemmt (wird schon nicht abfallen). Die Rohloff mit dem großen Ritzel lässt mich damit sehr langsam Berge hochfahren, die früher Hügel waren.
Also schnell ein Ziel gesucht, denn ohne Ziel kann man auch 300 Kilometer durch Kunidorf fahren, Hauptstraße, Gartenstraße, Hauptstraße,… Macht nur keiner. Ich auch nicht. Ich denke aber drüber nach, warum eigentlich nicht.
Ein Ziel muss oben sein
Also ein Gewässer von ausreichender Länge in der Nähe gesucht und die Quelle gesucht.
Rhein? Nein, zu weit bis zur Quelle. Saynbach? Nein, nicht weit genug bis zur Quelle. Lahn? Die wollte ich ja eigentlich in Etappen erwandern, aber der Mittellauf ist ist eher zersiedeltes Gebiet, da mit dem Rad auf Testfahrt durch ist wohl die bessere Idee. Also die Tour von Kunidorf zur Lahn über den Ulmtalradweg gesucht und den Lahntrack ab Biskirchen dran gehangen. Gut 200 Kilometer sollten als Testgrundlage ausreichen. Dann noch den Rückweg ins Dilltal drangehangen, denn an der Lahnquelle wartet schliesslich kein Schüttelbus, der einen müden Radler samt Gepäck nach Kunidorf zurück fährt. Im Dilltal in Herborn, bevor es wieder hoch in den Westerwald geht, ist das schon wahrscheinlicher.
Wahrscheinlicher jedenfalls, als dass der Kunibert noch in der Lage ist, aus eigener Kraft heimzufahren.
Zunächst die Daten – die Strecke als GPX Track
Was dann so unterwegs passiert ist.
Auf bekannten Wegen Richtung Osten unter noch leicht tropfenden Wolken gilt die Konzentration dem durch die Fronttaschen ungewohnten Fahrverhalten. Große Taschen an einem falsch bestellten und dann zugeschnitten festgewürgtem Lowrider lassen Zweifel an der Erfahrung des Zweiradmechanikers aufkommen. An die Taschen links muss man unterweg ran, die Rechts sind für die Nacht. Das Solarpanel muss seinen erzeugten Strom noch selbst futtern, der GoalZero 10 Ah Akku ist noch voll. Vorn lädt das E-Werk seinen lange nicht mehr verwendeten Pufferakku, der Garmin Oregon 700 wird von einer 5 Ah Powerbank versorgt und zeigt brav den Track an, der Pufferakku hält bis km 130, danach liefert der E-Werk Akku zuverlässig Strom.
Der Anstieg zum Knoten ist mit den 19 Zähnen und 26″ Reifen an der Rohloff Nabe zu bewältigen. Reisegenuss auf dem Ulmtalradweg mit der dunklen Ahnung, es wird nicht so bleiben.
Die Lahn begrüßt nach wenigen Kilometern mit einer Umleitung, einen Weg steil hoch auf eine Halbinsel. Da kommen auch schon die ersten E-Bike bewaffneten Lahnradwegtouristen den Hang hinab und hinterlassen eine Ahnung von mitleidigen Bemerkungen. Ich schiebe an der Luftgrenze und komme irgendwie oben an. Doch diese kleinen Herausforderungen sind erst mal nicht das Problem. Jetzt kommen 80 Kilometer Flachgelände und das soll dem untrainierten Halteapparat bestehend aus Hand, Arm, Nacken, Schultern und Rücken erheblich zusetzen.
Wenn die flache Strecke keine Abwechslung hergibt muss man die Abwechslung selbst herbeiführen. Handposition am Lenker, ein paar Meter Wiegetritt und dann Leerlauf mit Hintern hoch. Es wird Nachmittag und Abend und die ersten Gedanken an eine Zeltübernachtung auf dem Campingplatz kommen auf. Die bisherige Lahnradwegstrecke bot keinen ruhigen Platz mit Schutzhütte als Übernachtungsmöglichkeit. Gegen 21 Uhr die erste Suche auf der OSM Karte nach entsprechenden POIs, aber von Gießen bis Marburg ist alles zu unruhig und zu städtisch geprägt. Es am Westknick der Lahn wird es etwas ruhiger und hinter Cölbe sieht es nach etwas passendem aus. Es geht auf 23 Uhr zu und Vortriebsreserven sind nicht mehr vorhanden.
Die zweite Herausforderung ist die Übernachtung genau da, wo es nicht mehr weitergeht. Gut, an der bin ich schon vor 50 Kilometern vorbeigefahren, aber die Nacht in einer Stadt unter einer Brücke zu verbringen ist eine ganz andere Art von Abenteuer. Die Taschen rechts enthalten einen Schlafsack, einen Biwaksack eine UL Isomatte und eine Unterlage. In sinnvoller weise in- und aufeinander gestapelt ergibt sich eine Einstiegsöffnung, die für Oberschenkel mit 149 Kilometern auf dem Tacho eindeutig zu klein ist. Aber noch kann den drohenden Muskelkontraktionen ausgewichen werden. Es wird kalt, aber auf der Ruhebank lässt es sich ganz ruhig ruhen. Ein Radfahrer in der Nacht und einer im dunklen Morgen, dann ist die nacht vorbei.
So ein bisschen ist das Gefühl wieder da. Unterwegs. Erst mal alles anziehen, was warm macht. Die SPD Sandalen mit dem Gore Socken bekommen Regenüberzüge, die Jacke bekommt eine Jacke angezogen und Handschuhe finde ich auch in einem der Kleidungspackbeutel. Der Tagesproviant mit 4,5 Liter Wasser und 4 blegten Brötchen ist vertilgt, am letzten Ort vor der Passhöhe wird nachgefüllt. Dann geht es wirklich ein wenig wie in den Bergen, das Tal wird enger, die Hügel nebenan höher. Und es wird auch steiler. Der Radweg führt auch gern einen Seitenhang hoch und dann wieder zurück ins Tal. Die Stimmung ist gut, das kann geschafft werden.
Bis zur Lahnquelle ist alles ok. Ein paar Meter abseits angehalten und das Belohnungsschnitzel vertilgt. Dann noch die Hängematte als Übernachtungsalternative zwischen zwei Bäumen ausprobiert, das würde die Suche nach Ruhebänken oder Schutzhütten durch die Suche nach einem ruhigen Waldstück außer Reichweite morgendlicher Gassigänger ersetzen. Oder Doch Campingplatz? Wie es mit Tourenübernachtungen weiter geht, ist noch nicht abschließend geklärt.
Also ab ins Dilltal, geht ja einfach auf der anderen Seite wieder runter Richtung Heimat. War aber leider nicht so. Erst hinter den sieben Bergen war das Dilltal erreicht. Die Schiebestrecken mit Steil, Geröll und Matsch haben dann endgültig für eine Überlastung des Gesamtsystems gesorgt. Irgendwie bis Herborn kommen. Hat eigentlich dann noch ganz gut funktioniert, aber in der Nacht gab es dann in Kunidorf lautes Oberschenkelkrampfgeschrei. Und zwei Tage später heftige Schmerzen in der Schulteraufhängung bei bestimmten Armbewegungen und leider auch beim Atmen. Das beschränkt das Lungenvolumen und Laufen ist damit nur noch bergab möglich. Es wird auf bangend auf Besserung gehofft.
Die Lehre aus dem Tun
steht noch nicht fest.
Biwaksack, Hängematte, Zelt und Camping?
Reiserad oder E-Bike?
Streckenlänge?
Reichen die körperlichen Reserven?
Muss ich überhaupt noch alleine los?
Will ich noch alleine los?